Recherche-Journalismus & Photographie

 

 

 Fester Bestandteil aller Urlaubsklischees: Mariachis, Musikgruppen aus Mexiko. Martin Martinez erzählt vom wirklichen Leben.    Foto: Maria J. Birkmeir

 

"Wenn ich keine Kinder hätte, würde ich rebellieren"

 

Von Maria Birkmeir

 

Mariachis - die scheinbar immer lustigen, folkloristischen Musikergruppen aus Mexiko samt Sombrero und Tequila sind fester Bestandteil aller Urlaubsklischees. Wie hart die Lebensrealität dahinter ist, weiss Berufsmusiker Martín Martinez aus eigener Erfahrung. Weil er kaum noch von seiner Arbeit leben kann, versucht der Familienvater im Ausland sein Glück.

Nur die Vögel singen an diesem warmen Februarmontag auf dem verlassen wirkenden Plaza de Mariachi in León, Guanajuato. Martín Martinez und seine Kollegen schwitzen in ihren feinen Anzügen, den traditionell bestickten engen Hosen mit Silberbeschlägen und den verzierten Westen. Kaum ein Musiker kann sich aufraffen, eine Kunstprobe zum Besten zu geben, zahlende Kundschaft ist ohnehin nicht in Sicht. Eine gute Gelegenheit für ein Gespräch.

Señor Martinez, wie wurden Sie denn Mariachi?

Mein Vater war Mariachi. Und er brachte es mir und meinen drei Geschwistern bei. Ich bin jetzt 41 Jahre alt und spiele schon seit 30 Jahren als Mariachi auf der Geige - mit elf habe ich angefangen. Früher hat man überhaupt schon sehr jung gearbeitet, heute ist das nicht mehr üblich. Ich habe mit sechs Jahren schon gearbeitet, habe Leder für Schuhe gegerbt. Hier in León gibt es viele Schuhfabriken, da habe ich in den Gerbereien geholfen. Das war sehr schmutzig, sehr anstrengend. Mariachi zu sein hat mir viel besser gefallen.

Sie sind als Berufsmusiker auch schon viel gereist.

Ja, ich habe schon viel von Mexiko gesehen und hatte auch die Gelegenheit, das Land zu verlassen. Einmal waren wir sogar auf Saipan, das gehört zu den Marianischen Inseln. Jetzt werde ich bald nach Kanada gehen. Es ist schön, neue Orte kennenzulernen und außerdem verdient man dort besser. Ich werde für sechs Monate rübergehen, hoffentlich klappt alles. Sie haben uns 700 kanadische Dollar (etwa 500 Euro) pro Woche angeboten. Hier in León verdient man als Mariachi 1500 bis 1800 Pesos (ca. 100 Euro) pro Woche. Aber 700 Dollar, das sind fast 9 000 Pesos.

Wie sind Sie denn an diesen Auftrag gekommen?

Das war eigentlich wie beim letzten Mal, als ich angeworben wurde um auf der Insel Saipan zu spielen. Die Leute kamen hierher und sagten: Wir suchen Mariachis fürs Ausland. Sie haben unsere Lieder angehört, es hat ihnen gefallen, wir haben ihnen einen Preis gemacht. Und sie sagten zu uns: Vamos! Wir machten die ganzen Behördengänge, es gibt viel Papierkram. Sie besorgten uns damals eine Arbeitsgenehmigung, weil diese Inseln zu den USA gehören. Wir haben dann dort in Restaurants gespielt. Im Ausland schätzt man die Mariachis sehr. Deshalb gefällt es mir Mexiko zu verlassen, weil dort sagen die Leute: Ach, was für schöne Musik! Wir haben Japaner kennengelernt, Chinesen, Kanadier, Europäer - allen hat es gefallen. Mariachi, das sind die Wurzeln von Mexiko. Das ist es.

Woher kommt der Mariachi denn ursprünglich?

Das geht auf die Revolution in Mexiko zurück. Es gab eine Gitarre, die guitarra de golpe (Schlaggitarre) genannt wurde und etwas schroffer als die übliche spanische Gitarre klingt. Und die Revolutionäre sangen und spielten Lieder mit dieser Gitarre. Später kamen die Geigen hinzu, zum Schluss Trompeten. Außerdem gibt es das gitaron und die viguela diese Instrumente sind nur hier in Mexiko bekannt. Und als die Revolution vorbei war, blieb der Mariachi.

Für welche Anlässe werben die Leute denn heutzutage Mariachi-Gruppen an?

Meistens für Privatfeiern: Hochzeiten, Geburtstagsständchen. Alle Arten von Veranstaltungen. Wenn jemand stirbt beauftragen die Verwandten manchmal Mariachis, die zum Abschied auf der Beerdigung spielen. Auch bei Taufen, zur Heiligen Kommunion für alle wichtigen Momente im Leben beauftragt man Mariachis. Sehr beliebt sind auch serenatas, romantische Ständchen.

Warum haben die Mariachi momentan so wenig Kundschaft?

Von Februar bis Mai gibt es wenig Arbeit für uns Mariachis, das war schon immer so. Da ist auch die Cuaresma, die Fastenzeit - kein Wein, keine Feste. Außerdem gibt es heutzutage viele andere Gruppen, die uns Konkurrenz machen: Banda-Musik, Norteños, viele dieser Cover-Bands. Das ist populäre Musik, billig, aktuell. Mariachis wurden früher für einen anständigen Preis angeworben, diese Gruppen spielen zu jedem Preis. Mir persönlich gefällt auch die neue Musik nicht. Der Mariachi zum Beispiel besingt die Frau auf eine schöne Weise, erhebt sie zu seinem Idol. Diese Gruppen diffamieren die Frauen, singen sehr hässlich über sie. Sowas machen wir nicht, unsere Lieder sind schön und romantisch.

Haben Sie schon daran gedacht, die Arbeit als Mariachi aufzugeben?

Noch gefällt es mir. Es gefällt mir, weil man die Musik im Inneren spürt. Aber die Situation wird immer schwieriger. Manchmal braucht man eine zweite Arbeit, zwei Jobs auf einmal. Um gut über die Runden zu kommen.

Was machen Sie, wenn es gerade nicht gut läuft mit der Musik?

Ich kenne mich mit Bauarbeiten aus. Verputzen mit Gips, Renovieren, Anstreichen, all das. Und wenn es hier nicht läuft, dann gehe ich dorthin. Oder mache beides gleichzeitig - Hauptsache man kommt durch.

Haben Sie denn eine Familie?

Ja, ich bin verheiratet und habe eine Tochter mit 12 Jahren und einen neunjährigen Sohn.

Sollen Ihre Kinder später auch Mariachis werden?

Nein, das würde mir nicht gefallen. Ich bringe ihnen schon etwas Musik bei, aber ich möchte nicht, dass sie später damit ihr Geld verdienen. Sie sind beide gute Schüler, nur Einser. Es würde mir gefallen, wenn sie später studieren, um einen anderen Beruf zu haben. Doktor beispielsweise oder Anwalt - das hängt davon ab, was ihnen gefällt.

Welche Dinge stören Sie an Ihrer Arbeit noch, abgesehen von dem finanziellen Problem?

Wir Mariachis arbeiten manchmal für sehr reiche Leute. Aber wir kennen auch sehr arme Leute. Wir haben schon in großen Villen gespielt, mit Schwimmbecken, vielen Lichtern, riesengroß. Diese Leute zahlen wenig für ihr Licht, für den Strom, sehr wenig. Fast nichts. Warum? Wegen der Korruption. Die Reichen zahlen keine Steuern, sie haben Stiftungen. Aber der Arme muss Steuern zahlen. Also ist der Unterschied groß. Aber was können wir machen? Wirklich, wir würden gerne ... es gibt viele Leute, die gerne etwas dagegen unternehmen würden. Und es gibt auch einige Bewegungen. Von Studenten, von Lehrern, die Gewerkschaften. Aber auch da gibt es viel Korruption, die Gewerkschaftsführer verkaufen sich. Es braucht viel Mut, um dem entgegenzutreten. Wenn ich nicht verheiratet wäre würde ich das vielleicht tun. Wenn ich keine Kinder hätte, würde ich rebellieren.

 

<<< zur Themenseite

<<< zur Titelseite

 

 

Top | Copyright: edition-zeitlupe / bei Namens-Artikeln und Fotos der genannte Autor