Recherche-Journalismus & Photographie

 

 

                                      Schuster Juan in der mexikanischen Industriestadt León.                                                                                                      Foto: Maria J. Birkmeir

 

 

 

Eine Wunde, die niemals heilt

 

Von Maria J. Birkmeir

 

Das Drogenproblem in Mexiko, derzeit wegen der spektakulären Flucht des „Chapos“ wieder ein großes Thema in den Medien, ist nicht zuletzt auch ein Konsumentenproblem. Die große Nachfrage in den USA hat dazu beigetragen, die kriminellen Strukturen wachsen zu lassen. Welche zerstörerische Macht der Drogenhandel auch jenseits der Grenze hat, das zeigt die Migrationsgeschichte des Schusters Juan.

Es riecht nach Leim und Leder, eine Nähmaschine rattert gegen die Rockmusik an und zwischen den vollgestopften Regalen und der Wand stapeln Cowboystiefel, Pumps, Sandalen und Gummisohlen.

Das Juans Reich, seine Schusterwerkstatt in dem etwas verrufenen Viertel San Miguel in der Industriestadt León, Zentralmexiko. Von seinem früheren Leben ist dem untersetzten Mann mit leicht ergrauter Stoppelfrisur nicht mehr viel geblieben - außer einem texanischen Dialekt, so breit und echt wie das Grinsen in seinem Gesicht, mit dem er ausländische Kunden in seinem Geschäft empfängt. Er freut sich, hin und wieder Englisch mit jemandem sprechen zu können, um es nicht zu verlernen.

Juan wurde zwar in León geboren, doch als Teenager schaffte er es nach drüben: In Houston, im Bundesstaat Texas baute er sich eine Existenz auf. Bis er vor zehn Jahren alles auf einmal verlor durch den „größten Fehler meines Lebens“, wie der Schuster heute sagt.

Mit dem Fußball kam der Kontakt zu den Drogen:

„Das Leben hat es immer gut mit mir gemeint. Ich kam mit 16 Jahren illegal in die USA, 1986 bin ich rüber. Ein Jahr später hatte ich dank der Reagan-Amnestie schon eine Green Card. Ich bin in Mexiko nur bis zur sechsten Klasse in die Schule gegangen, habe aber dann in Houston trotzdem schnell Englisch gelernt. Ich fand Arbeit im „Houston Shoe Hospital“ -  einer große Firma, die Reparaturwerkstatten für Schuhe überall in den USA hat. Acht Jahre später hatte ich meine eigene Werkstatt, dann am Ende dann sogar mehrere Filialen.

Aber ich habe auch von Anfang an gerne Fußball gespielt. Ich habe mich einem Team angeschlossen und war ein guter Spieler, wir haben viele Meisterschaften gewonnen. Dieses Team hat mich dafür bezahlt, dass ich für sie gespielt habe - mit Drogen. Fast alle in diesem Team haben gedealt. Nach und nach habe ich auch angefangen ein bisschen was zu verkaufen, in Houston. „Ein bisschen“, das nannten wir latas, das waren kleine Pakete für 25 Dollar. Ich habe für 300 Dollar Gras gekauft und daraus 600 Dollar gemacht, jeden Samstag. Später wurde es mehr und viele Leute kannten mich. Dann habe ich nur noch libras verkauft, das war ein halbes Kilo. Irgendwann habe ich 25 Kilo Kokain alle zwei Wochen verkauft.

Als ich meine spätere Ehefrau kennengelernt habe, wusste sie, dass ich mit Drogen deale und sie hat mir auch dabei geholfen. Wir sind in die gringo-Viertel gegangen, als ob wir laundry machen wollten, mit schmutziger Wäsche. Dann haben wir die Wäschekörbe abgeliefert und da waren die Päckchen mit den Drogen drin.

Dealer und alleinerziehender Vater

2003 haben meine Frau und ich uns dann getrennt und meine Söhne sind bei mir geblieben, der Kleine und der Große. Einer war zehn Jahre alt, der andere fünf. Also habe ich die Jungs als alleinerziehender Vater großgezogen. Während dieser Zeit habe ich meine Geschäfte weitergemacht, meine Werkstätten -  aber auch die Drogen. Ich war selbst auch drogenabhängig, 18 Jahre lang.

Aber damals wusste keiner davon, denn ich hatte ja meine normale Arbeit. Ich bin zur Werkstatt gekommen, habe dort meine Jungs angeleitet, bin mit meinem Pick-up herumgefahren. Dann haben sie mich angerufen, ich habe die Drogen in Rucksäcken geholt und abgeliefert - keiner hat das gemerkt.

Aber klar, das sieht so aus als ob es ganz einfach wäre und du viel Geld machen kannst, aber gleichzeitig ist es eine Illusion. Weil früher oder später begehst du einen Fehler, und dann musst du dafür bezahlen. Es hätte mir auch schlimmer ergehen können. Wenn sie mich bei einem meiner Kokain-Geschäfte geschnappt hätten, dann wäre ich jetzt nicht hier, dann wäre ich noch immer in Knast.

Die Tätowierungen stammen aus dem Gefängnis

Am Ende fiel ich auf mehrere verdeckte Ermittler herein, die sich mit mir anfreundeten und eine große Menge Marihuana bei mir bestellten. Als sie mich dann geschnappt hatten, habe einen Handel mit ihnen gemacht, sie konnten mir nämlich glücklicherweise nicht viel nachweisen. Deshalb wurde ich zum Minimum verurteilt, zwei Jahre Knast.

Diese Zeit habe ich in mehreren Gefängnissen in New Texas verbracht, aber die meiste Zeit war ich in einem ziemlich üblen Gefängnis namens Brassell. Dort bin ich einer Gang beigetreten, die sich Los Aztecas nannten.“

Juan zieht den Ärmel seines gestreiften T-Shirts nach oben. In etwas unregelmäßigen Linien ziehen sich schwarze Maya-Symbole um seine beiden Oberarme. Er zeige die Tätowierungen ungern offen, behauptet Juan. Eigentlich ist die Mitgliedschaft bei den Aztecas ein Pakt fürs Leben. Die Gang aus dem Grenzgebiet um El Paso steht im Verdacht, gemeinsam mit Drogenkartellen für Morde und Entführungen verantwortlich zu sein. Juan sagt, er habe versucht, mit diesem Kapitel abzuschließen.

„Klar hätte ich nach der Entlassung meine alten Bekannten wieder kontaktieren können. León ist eine Durchgangsstraße, hier gibt es überall Drogen, genau wie in Houston. Aber ich wollte nicht mehr - ich wollte all das in mir ausreißen, mit der Wurzel“

Kein Weg zurück mehr

Nachdem er seine Gefängnisstrafe verbüßt hatte, wurde Juan direkt nach Mexiko abgeschoben. Seine beiden Söhne aber blieben in den USA zurück, bei ihrer Großmutter. Er telefoniert oft mit ihnen, erzählt Juan, sie haben ihn auch schon ein paarmal in León besucht.

„Vor zwei Wochen habe ich viel geheult, ich bin am Telefon zusammengebrochen. Ich habe mit meinem jüngeren Sohn geredet und ihm gesagt: Es ist wie eine Wunde, die niemals heilen wird und ich träufele noch Zitronensaft darauf. Er war noch sehr klein, als ich ihn zurückgelassen habe. Das tut mir immer noch weh -  ich habe meine beiden Söhne wegen meiner Fehler verloren.“

Obwohl es für ihn keinen legalen Weg mehr in die USA gibt, hat Juan seinen Traum noch nicht aufgegeben: „Ich möchte mein Leben dort zu Ende bringen. Mir gefällt auch Mexiko, aber abgesehen davon wie es mir dort erging – ich fühle, dass mein Herz dort drüben ist.“

Im September kommen Juans Söhne vielleicht wieder nach León um ihn zu besuchen. Der 17-Jährige ist noch in der High School und möchte nächstes Jahr aufs College gehen. Juans älterer Sohn hat ein Stipendium bekommen und studiert mittlerweile „International Business,“ erzählt sein Vater stolz und lächelt.

 

<<<zur Themenseite

 

<<<zur Titelseite

Top | Copyright: edition-zeitlupe / bei Namens-Artikeln und Fotos der genannte Autor